Gerd-Hölzel-Rest

Das stolze Haus der Klever Sozialdemokratie gestern Nachmittag (Foto: Udo Kleinendonk)

Zu Zeiten, als ich noch für die Schülerzeitung Pegasus Anzeigen akquirierte, gehörte zu meinen Anlaufstellen auch die Zentrale der Klever SPD, die damals in einem renovierungsbedürftigen Haus in der Arntzstraße gelegen war. Sie gaben immer eine Anzeige. Dann war ich lange weg, und als ich wiederkam, hatte sich die Partei ein neues Zuhause zugelegt.

Das Gerd-Hölzel-Haus an der Wiesenstraße war gegenüber der vorigen Adresse zwar ein leichter sozialer Aufstieg, aber immer so ziemlich genau das Gegenteil des aalglatten Berliner Willy-Brandt-Hauses der Bundespartei (in dem es sogar eine Weinhandlung gibt). Alt, verwinkelt, knarzende Fußböden, zugige Fenster, häufig wechselnde Studenten in den Wohnungen darüber. In dieses Haus gehörten Kaffeemaschinen, die noch mit Filtertüten bestückt werden. In dieses Haus gehörte Herbert Wehner, nicht aber Andrea Nahles.

So ist es vermutlich eine folgerichtige Entscheidung, dass die Partei, der die 1903 errichtete Immobilie gehört, beschlossen hat, sie abzureißen – um darauf ein weiteres würfelförmiges Wohn-Bürogebäude zu setzen, so wie sie auch in der Nachbarschaft allerorten zu sehen sind. „Der Schritt ist alternativlos. Wir müssen uns den Anforderungen der Zukunft stellen“, sagte Christian Nitsch, Schatzmeister des SPD-Unterbezirks, der NRZ. Alternativlos.

Das Neubauprojekt an gleicher Stelle wird mit ca. drei Millionen Euro veranschlagt, 20 Wohnungen sollen entstehen, barrierefrei und somit auch für Behinderte und Ältere geeignet. Aber vielleicht wird Kleve doch einmal mehr etwas fehlen, was die Stadt unterscheidbar macht von der seelenlosen Verwürfelung allerorten – ein Gebäude mit Charakter. Und womöglich, wenn wir den Kopf mal etwas weit aus dem Fenster lehnen, sind die neuen Büroräume für die Mitarbeiter vermutlich super-praktisch, und der Bürokaffee wird auch modernen Ansprüchen genügen – aber was unterscheidet die SPD noch von dem Versicherungsbüro links daneben?

Übrigens: Kein Mensch weiß mehr, wer eigentlich Gerd Hölzel war. Auch so eine merkwürdige Sache. Vor fünf Jahren hatte die SPD dasselbe Problem erkannt und eine 90-seitige Broschüre herausgegeben. Dem Werk ist zu entnehmen, dass Gerd Hölzel am 22. Februar 1913 im Riesengebirge geboren wurde, dass er nach Kriegseinsätzen in Frankreich und an der Ostfront am 17. September im Lazarett Bedburg-Hau angelangte, dass er im Januar 1946 in die Klever SPD eintrat, dass er von 1948 bis 1975 im Klever Kreistag saß, dass er von 1950 bis 1977 Geschäftsführer der Kreis Klever SPD war, dass er in zahlreichen Vereinen und Vereinigungen aktiv war, dass er für Landtag und Bundestag kandidierte und 1996 an den Folgen eines Schlaganfalls starb. „Gerd Hölzel war nach seiner eigenen Definition […] ein wirklicher Politiker“, schreibt Sebastian Kindler in dem Heft. „Die Arbeit in der SPD war ihm nicht nur Beruf, sondern, das zeigte sein über bloße Routine hinausgehender Einsatz für die Partei, eine tiefe Berufung.“

Temps perdu: Dreimal Gerd Hölzel, einmal Willy Brandt, einmal eine Immobilie
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3 Kommentare

  1. 3

    Da auch hier der Name „Nitsch“ aufblitzt, darf man wohl annehmen, dass der neue Bau so schön wird wie gegenüber auf dem ehemaligen Werksgelände von Clever Stolz. Man muss schon ziemlich viel Langmut aufbringen, nicht einem Würgereiz sich zu ergeben, wenn man sich diesem öden, architektonischen Offenbarungseid anschaut. Sowas zu genehmigen, ist eine bodenlose Frechheit und dazu eine Bankrotterklärung von sämtlichen Verantwortlichen dieser Stadt. Schlimm.
    Es scheint zumindest erklärlich und für Herrn Nitsch sich jetzt auszuzahlend, dass gerader er unsere Bürgermeisterin so hervorragend bei der Wahl unterstützt hat. Ist es nicht schön, wenn so viel Selbstlosigkeit vorherrscht?

     
  2. 2

    „Der Schritt ist alternativlos“

    Jetzt benutzt die SPD schon Merkels Standardantwort auf alles, bevor ihr die Alternative für Deutschland den Spaß daran genommen hat.
    Nur so als Randbemerkung, weil es mir sofort ins Auge gesprungen ist.

     
  3. 1

    Ertrag oder dessen Maximierung hat rein gar nichts mit Qualität zu tun.

    Alternativloser Abriss scheint in Kleve einem Naturgesetzt gleich gesetzt zu sein. Das Schatz- bzw. CentMeister über Baukultur befinden, ist ein Trauerspiel und sollte sich ganz dringend ändern. Dieses Haus wurde 2017 dem Abriss freigegeben, warum das nicht ein einziges Mal im Ausschuss für Kultur und Stadtgestaltung, zumindest als Mitteilung erwähnt wurde, ist offensichtlich aber trotzdem unmöglich. Wozu gibt es eigentlich diesen Ausschuss?

    „…jedoch hat die SPD sich dafür entschieden, mit dem Neubau einen konkreten Beitrag gegen die Wohnungsnot zu leisten und 20 Wohneinheiten zu schaffen, die zu bezahlbaren Preisen vermietet werden.“

    Direkt nebenan werden bei fast 50 Einheiten ca. 15€ pro m2 gefragt/bezahl, so hört man…

    Alternativlos gute Preise !

    Mal sehen was die spd für 3 Millionen an Baukultur der Stadt Kleve zurück gibt?
    Mal sehen was die spd für den m2 fragen wird?

    Leider dürfen wir gar nicht gespannt sein.