Gekämmt, gehopft, vergoren

Christoph Klimke bei der Lesung aus seinem Buch „Der Koloss“ in der Buchhandlung Hintzen

Eine der schöneren Veranstaltungen der vergangenen Wochen war die Lesung des aus Kleve stammenden Schriftstellers Christoph Klimke in der Buchhandlung Hintzen. Sein Buch „Der Koloss“ verquirlt Briefe von Goya, Schilderungen einer Kindheit und Jugend am Niederrhein sowie Studium und Leben in Berlin. Feinfühlig ist vielleicht ein gutes Wort, um dieses Buch zu beschreiben. Aber wo immer Feingefühl am Werke ist, gibt es einen, der noch feiner fühlt – den Rezensenten der Rheinischen Post. Dicht und Dichter:

Ein kleiner,
fast quadratischer Tisch.

Helles Holz,
eine polierte Platte
auf langen stabilen Beinen.

Darauf eine Flasche
„Warsteiner“ Pilsener,
hopfig.

Das Bier ist Programm.

Denn der Mann am Tisch war Steiner.

Matthias Grass, 2019

Das meint der Kritiker: Unversehens wird aus der scheinbar sachlich-nüchternen Beschreibung eines Möbelstücks in fünf unregelmäßigen Strophen – zwei bestehen aus nur einer Zeile – eine bedrückende Parabel der auf dem Altar des Genderismus geopferten Männlichkeit.

Das Gedicht schildert in einer Art Momentaufnahme die deprimierende Lebenssituation eines Mannes, der erst in der letzten Zeile überhaupt fassbar wird: Steiner.  Steiner, Träger eines Namens, den viele Deutsche immer noch mit „Feldwebel Rolf Steiner“ (Das eiserne Kreuz, USA 1977) assoziieren, wird hier ohne die Insignien des modernen Mannes ins Geschehen eingeführt. Kein Titel, keine Anrede („Herr Steiner“), nicht einmal ein Vorname. Kein Zweifel, der Mann ist eine Ruine.

Wie konnte es dazu kommen? Liest man die vorangegangenen neun Zeilen unter diesen Auspizien, findet sich in dem Werk eine Fülle von Hinweisen auf den fatalen Niedergang. Schon die Reihung ist eine Demütigung – nicht der Mensch steht im Vordergrund, sondern ein Möbelstück. Der Tisch, klassischerweise der Schauplatz merkantiler Machtdemonstrationen („über den Tisch ziehen“) bekommt eine eigene Statik und Größe: Er steht auf „stabilen“ Beinen, die zudem „lang“ sind. Normalerweise haben Tische eine Höhe von 75 bis 78 Zentimetern, damit der Akteur darauf Dokumente durchblättern  und dann mit Leichenbittermiene seinem Opfer ins Gesicht sagen kann, dass es gefeuert sei.

Dieser Tisch hier aber ist seiner administrativen Funktion beraubt, er hat ein Eigenleben entwickelt. Steiner, der daran sitzt, besiegelt nicht mehr mit einem Federstrich Schicksale. Er hält sich an einer Flasche Bier fest. Der stärkste Satz, wie ein Monolith in seiner Banalität herausragend, lautet: „Das Bier ist Programm.“ Es gibt keine Inhalte mehr, an diesem Tisch heißt es nur noch: Bier her, Bier her, oder ich fall‘ um!

Vollends absurd wird die Situation durch den Anschluss der folgenden Zeile durch die kausale Konjunktion „denn“: Weil der Mann Steiner ist, ist das Bier Programm?  Warsteiner? War Steiner?! Was soll das heißen? Muss Steiner sich nicht mehr rechtfertigen, wenn auf seinem Tisch „ne Pulle Bier“ (Schröder) steht? Ist er verdammt?

Zusätzliche Schärfe gewinnt die Schilderung, die ansonsten sehr frugal gehalten ist, durch eine auffällige Produktnennung. Das Bier, das Herr Steiner trinkt, ist ein „Warsteiner“. Premium, das war einmal. Nächste Woche dann wahrscheinlich schon „Traugott Simon“.

Besonders interessant ist zudem, dass der Autor das Getränk als „hopfig“ beschreibt, was für Warsteiner Pilsener definitiv nicht zutrifft – es wirkt, als verhöhne der Autor an dieser Stelle die von ihm geschaffene Figur Steiner, indem er ihr einfach falsche Informationen vorsetzt. Steiner ist zu kaputt, sich noch zu wehren. Steiner wird nicht bemitleidet, er wird gedemütigt. Es gibt kein Hoffen mehr, es gibt nur noch Hopfen, der keiner ist. Nimm das, Steiner! So sad!

Quelle für das Gedicht: Klimke: Durchbruch nach ganz unten

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11 Kommentare

  1. 11

    Da sitzt du mit einem französischem Frühstück bei Ref. und liest die Zeilen von Herrn M. G. in der RP.

    Ist doch eigentlich ganz amüsant…..

     
  2. 9

    Warsteiner Pilsener hat also nichts hopfiges? Da gibt es die unterschiedlichsten Ansichten.

    Chewgum, nicht immer ist ein Haiku sofort erkennbar. So vielleicht aus Bashos Wander- und
    Reisetagebuch folgendes Haiku: Nichts als Flöhe und Läuse – und nah an meinem Kopfkissen –
    pißt auch noch ein Pferd

     
  3. 7

    Diese Situationsbeschreibung in Haiku-Form hätte ich M.G. nicht zugetraut, keinesfalls grässlich.

    Die von Basho sind natürlich voller Ästhetik z.B. Nieselregen – der Fuji ist nicht zu erkennen – wie seltsam,

    oder Frühling – ein Hügel namenlos – im Dunst.

     
  4. 6

    @Jupp Bei dieser zeitlosen Ästhetik bin ich doch glatt im Jahr verrutscht. Das müssen wir mal ganz schnell korrigieren.

     
  5. 5

    Ralf, wenn der Herr Grass das Gedicht schon 2018 geschrieben hat, finde ich es unter hellseherischen Gesichtspunkten herausragend…

    Oder hast du dich vertan?

     
  6. 3

    @rd Habe mich gefragt, wie die Rezension von M. G. zu sehen ist … so ganz schlau wird man nicht draus, auf mich wirkt es lakonisch-ironisch, gemischt mit Wohlwollen …

    Und der Artikel oben scheint mir die Replik zu sein.

    Vielleicht habe ich aber auch alles nicht richtig verstanden und es war einfach ein Rezensenten-Battle. Bitte um Aufklärung.

     
  7. 2

    @Chewgum Wieso? Es ist doch reine Poesie, die uns da – als schnöder Artikeleinstieg getarnt – vorgesetzt wird.