Freudentränen nach Freispruch, Dankgebete und ein Kollaps

Es ist die letzte Wendung in einem an Überraschungen reichen Prozess, als Richter Jürgen Ruby das Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Kleve verkündete: Freispruch für die Rumänen, die der gemeinschaftlichen Vergewaltigung einer Landsmännin angeklagt waren. Von der Begründung bekamen die Angeklagten nichts mehr mit – sie weinten vor Freude, einer der Männer kniete sich sogar nieder und bekreuzigte sich. „Wir gehen davon aus, dass die Untersuchungshaft eine gewisse Lehre für Sie war“, so Ruby in seinem Schlusswort an die Angeklagten. „Wir wissen nur nicht, wofür.“

Bereits anderthalb Stunden zuvor waren im Saal 212 reichlich Tränen geflossen, als die Angeklagten in ihrem Schlussworten ihre Unschuld beteuerten. „Ich bin vor Gott schuldig, weil ich meine Frau betrogen habe – aber sonst nicht“, sagte Mihai N. (29). Als die Kammer sich dann zur Beratung zurückzog, sahen sich die Angeklagten mit einer möglichen Zukunft konfrontiert, die sie für Jahre ins Gefängnis befördert hätte.

Denn Staatsanwalt Gerd Schulte hatte für Freiheitsstrafen zwischen sechs und elf Jahren plädiert. Seiner Ansicht nach waren die Aussagen des Opfers trotz aller Widersprüche „im Kern“ glaubhaft, und so deutete er das Geschehen in der Wohnung an der Kirchstraße 19 in Kleve als Vergewaltigung, deren brutale Umstände nur mit einer derart hohe Strafe geahndet werden könnten.

Die Angeklagten waren fassungslos, und ihre Verteidiger schossen aus allen Rohren, um diese Version eines mehrtägigen Martyriums zu erschüttern. Viermal forderten sie Freispruch. Stefan Siebert, Verteidiger des Hauptangeklagten Costinel L. (30): „Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin, die im übrigen durch Abwesenheit glänzt.“ Silke Gorissen: „Die Spermaspuren belegen den Geschlechtsverkehr, aber nicht, dass er gegen den Willen der Zeugin stattfand.“

Nadja Afraz brachte in ihrem Plädoyer in schneller Folge Wörter und Formulierungen wie „lebensfremd“, „nicht nachvollziehbar“, „abenteuerlich“, „ungereimt“, „widersprüchlich“, „unlogisch“, „wie aus 1001 Nacht“ – immer ging es um die Aussagen des Opfers. Ihr Eindruck der Vernehmung vor dem Amtsgericht, deren Videoaufzeichnung im Prozess vorgespielt wurde: „Sie machte nicht den Eindruck einer gebrochenen Frau – es war ihr wichtig, wie ihre Frisur sitzt.“ Joris Ernst zu den diffusen Schilderungen des Tatgeschehens: „Zumindest die sexuellen Praktiken sollten doch benannt werden können.“

Also lange Haftstrafen oder schon ein Abendspaziergang in Freiheit? Für Iordache N. war diese Anspannung offenbar zuviel. Unmittelbar bevor die Kammer sich zur Beratung zurückzog, kollabierte er im Gerichtssaal, klagte über Atemnot und Schmerzen in der Brust. Ein Notarzt wurde gerufen, ein Rettungswagen brachte ihn ins Klever Krankenhaus. Dort wurde er eingehend untersucht, sodass er nicht zur Urteilsverkündung anwesend sein konnte und sein Verfahren abgetrennt werden musste. Im Laufe des Abends sollte er dann separat sein Urteil erhalten – dass es ein Freispruch sein wird, daran kann es keinen Zweifel geben.

Denn das Gericht begründete seine Freisprüche mit großen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Opfers. Aber warum? Die Kammer fand in der verwirrenden Fülle von Tatversionen ein Detail, das offenbar beträchtliches Unbehagen verursachte: Ursprünglich hatte die Frau bei der Polizei ausgesagt, sowohl am 17. Januar wie auch am 18. Januar nachmittags und am selben Tag abends vergewaltigt worden zu sein – also drei Tatkomplexe. Schon in der ersten richterlichen Vernehmung allerdings gibt es die Tat vom 17. Januar nicht mehr. Richter Ruby: „Daher ist die Kammer auch den übrigen Teilen der Aussage mit äußerster Skepsis und Vorsicht begegnet.“

Das Gericht sei zwar davon überzeugt, dass in der Wohnung an der Kirchstraße Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, aber objektive Anhaltspunkte für Gewaltanwendung, also die Bedrohung mit einem Stuhlbein und mit einem Messer, hätten sich nicht gefunden. „Das Vorhandensein eines Messers belegt nicht, dass damit eine Bedrohung erfolgt ist“, so Ruby.

Da es ausreichende Beweise für eine erzwungene sexuelle Handlung nicht gebe, bleibe als entscheidendes Kriterium die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Zahlreiche Widersprüche, aber auch die Tatsache, dass sie von der Ehefrau des Hauptangeklagten Geld angenommen hatte, um ihre Aussage zu widerrufen (was sie dann aber doch nicht machte), sowie ihre Weigerung, in Kleve vor dem Gericht auszusagen, legte die Kammer ihr zum Nachteil aus.

„Die Kammer folgt der Aussage [der Zeugin] nur, wenn sie von anderen Beweismitteln gestützt wird“, so Richter Jürgen Ruby bei der Verkündung des Urteils. „Und die liegen nicht vor, wir können weder die Drohung noch die Anwendung von Gewalt feststellen. Deshalb sind die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Die Kammer ist zwar überzeugt, dass der Zeugin Unrecht geschehen ist, aber wir können dem Unrecht keine Straftat zuordnen.“

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4 Kommentare

  1. 4

    Ich habe alle Verhandlungstage mitverfolgt, und es gab so viele Ungereimtheiten und kaum nachvollziehbare Verhaltenweisen… In der Urteilsbegründung wurde beispielsweise auch noch einmal hervorgehoben, dass die Frau im Zuge der nächtlichen Einsätze bereits einmal in einem Polizeiwagen gesessen hatte - und dann freiwillig ausgestiegen und in die Wohnung zurückgegangen ist.

     
  2. 3

    @Meiner Einer: Nee, nix da mit Verschwörungstheorie. Das war mal ganz logisches Denken im Ablauf der Dinge. Es gab doch diese „Aueinandersetzungen“ wo die Polizei raus kam und es als „verbale Auseinandersetzung“ abtat oder abtun mußte. Ob es abgetan werden mußte – das ist die Frage. Wenn da was war – dann wäre genau dort der richtige Zeitpunkt gewesen jeden Verdacht zu bestätigen oder zu entkräften, jedenfalls nachzugehen. Das ist aber nicht passiert und im nachhinein ist es natürlich schwer. Die Gründe mögen mangelnde Sensibilität, Unterschätzung der Lage oder sonst was sein; es ist damit auch kein großer perönlicher Vorwurf verbunden, nur eine resignierte Bestandsaufnahme.
    Zum vermeintlichen Opfer: Nun ja – da ist alles möglich. Eine vielleicht erfundene Geschichte genau so wie die Angst in einem fremden Land dessen Sprache man nicht spricht und wo man vielleicht schon mal „hängen“ gelassen wurde, oder Angst, oder…

     
  3. 2

    @ JUH

    es heißt nunmal in dubio pro reo.

    Das vermeintliche Opfer hat aber auch ganz viel dazu beigetragen, dass es zu diesem Urteil gekommen ist. Als vermeintliches Opfer einer solchen Tat ist es für mich absolut unverständlich, nicht dafür Sorge zu tragen, dass die Täter hinter Schloss und Riegel gelangen. Wenn schon ich Opfer einer solchen Tat geworden wäre, wäre mein Bestreben mindestens, andere vor solchen Taten zu bewahren. Und das geht am Besten, indem ich helfe, vor Gericht der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

    Es ist mir ein Rätsel, warum Sie der Polizei die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Oder wittern Sie vielleicht eine Verschwörung der Klever Polizei mit der rumänischen (Schwarz-)Arbeiter-Mafia? Warum habe ich bei Ihnen immer nur das Gefühl, dass Sie bei anderen die Schuld suchen?

    Ich gebe Ihnen aber Recht, ein mieses Gefühl bleibt. Freispruch zweiter Klasse sozusagen.

     
  4. 1

    Ich kann dem Ganzen nichts Positives abgewinnen – wahrscheinlich wäre die Sache klar gewesen, wenn in der fraglichen Nacht die Leute von der Polizei mal etwas seriöser und gewissenhafter nachgegangen wären, statt zurück in die Kaffeepause zu fahren…Genau an dem Punkt wäre Aufklärung vonnöten und wichtig gewesen. Das Ganze hinterher ist elendig schwierig zu beurteilen. Ein mieses Gefühl bleibt. Was ist wenn es doch Vergewaltigungen gab…?