Eine überraschende Geschichte, die in Weeze ihren Anfang nimmt

Weeze, Startpunkt eines überraschenden Erlebnisses

Gemeinhin gewinnt unsereins schnell den Eindruck, unser Gemeinwesen stehe kurz vor dem Ende. Jeder denkt nur noch bis zur Grenze seines eigenen, zugeschotterten Vorgartens. Allerorten Familien, die ihre zarten Töchterlein im SUV zur Gesamtschule helikoptern, auf dass sie freitags zum Rathaus ziehen und den Klimaschutz einfordern. Und die Politik! Ratlos, verlogen, korrupt, siehe Gorch Fock, siehe Migration, siehe Europa.

Dann, die Wechselfälle des Lebens hatten mich nach Köln expediert, wo ich an einer äußerst lehrreichen Veranstaltung zur Geschichte der Schrift teilgenommen hatte, fällte ich auf dem Rückweg eine schicksalhafte Entscheidung: Im Duisburger Hauptbahnhof entschloss ich mich gegen 18 Uhr, die Rheinseite zu wechseln und das letzte Stück der Strecke nach Kleve mit dem Niers-Express zurückzulegen. Das bedeutete wiederum, zunächst die paar Kilometer bis Krefeld zurückzulegen, von wo aus der Regionalexpress, abfahrend von Gleis 2, die letzte Etappe des Weges absolvieren sollte. Alles easy, dachte ich, was regen sich die Leute nur so über die Bahn auf, läuft doch.

Wenige Minuten später hatte ich im Geiste Exekutionen für alle Verantwortlichen angeordnet.

Auf der Bahnhofsanzeige war als Endhaltestelle nicht Kleve, sondern Weeze angegeben, dazu plärrte die Durchsage: „Die Halts in Goch, Bedburg-Hau und Kleve entfallen.“ Bittere Tränen flossen über mein Gesicht, ich sah mich schon in den Fängen des Schienenersatzverkehrs, ein fürchterliches Wort, das den Schrecken der Sache halbwegs angemessen wiedergibt. Fünf Minuten später war ich allerdings gezwungen, die Hinrichtungen rückgängig zu machen – für eine Sperrung wegen einer zu entschärfenden Bombe können nun beim besten Willen weder Pofalla noch sämtliche Kleinkopferten der NordWestBahn zur Rechenschaft gezogen werden.

Ich fügte mich also in mein Schicksal und bestieg den Zug, der mich in einen Ort bringen sollte, den ich (womöglich zurecht) noch nie in meinem Leben besucht hatte. Kempen. Nieukerk. Aldekerk. Geldern. Kevelaer. Weeze, alle raus! Auf dem gegenüberliegenden Gleis stand wie angekündigt auch der Zug, der irgendwann nach der Entschärfung die Fahrt vollenden sollte. In Weeze ist allerdings nicht ersichtlich, wie der Reisende dorthin gelangt. Hinweisschilder zur Unterführung waren wohl im Etat nicht vorgesehen. Der Masse folgend, fand sich allerdings der Weg hin zum Bahnhofsvorplatz, wo allerlei mürrische Reisende auf- und abgingen und darauf warteten, die letzten Etappen zurücklegen zu können.

Auf dem Parkstreifen parkte ein Wagen, an dessen Beifahrertür ein junger Mann stand, der mehrfach fragte, ob jemand nach Goch müsse. Er gehörte ebenfalls zu den Gestrandeten und war von seiner Liebsten in Weeze abgeholt worden, und jetzt waren im Auto noch zwei Plätze frei – und die bot er den Reisenden an, einfach so. Nun musste ich zwar nicht nach Goch, sondern nach Kleve, aber Goch ist auf alle Fälle schon mal näher am Ziel. Für den Rest werde sich schon eine Lösung finden, dachte ich, ein Mensch, dem Optimismus nicht ganz fremd ist.

Sie fand sich auch tatsächlich, aber auf ganz unerwartete Weise. Ein kurzer Wortwechsel zwischen Beifahrersitz und Rückbank ergab, dass ein zweiter Zufallspassagier ebenso wie ich Kleve als Ziel hatte. Der junge Mann fragte seine Freundin: „Sind wir heute nett?“ Das war natürlich eher rhetorisch, denn kurzerhand setzten sie die Fahrt bis nach Kleve (knapp vor meiner Haustür) fort, verweigerten wacker jede Entschädigung, brachten den Mitreisenden zum Klever Bahnhof (wo sein Auto stand) und traten dann die Heimfahrt zum Abendessen an.

Ich aber dachte: Solange es noch solche Menschen gibt, wird dieses Land nicht dem Untergang geweiht sein. Eine schöne, eine überraschende Erfahrung!

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5 Kommentare

  1. 5

    Der profalla-Bazillus reicht bis Weeze, gut dass sich nicht jeder davon anstecken lässt!

     
  2. 4

    Ja, diese Menschen gibt es noch auf jeden Fall. Auch wenn man hier immer mehr das Vertrauen zu den Menschen verliert.

    Anderswo, wo die Menschen unter Armut leiden, gibt es viele Menschen, die versuchen, sich gegenseitig zu helfen, um zu überleben.

     
  3. 3

    Mmuuuh, nette, freundliche Menschen, mmuujuuh!
    Aber der Autor sollte sich wegen seiner Niederrheinkenntnisse schämen, mmuuuuh!
    Welche Sequenz ist richtig, mmuuuuh?
    Kempen-Nieukerk-Aldekerk-Geldern-Kevelaer-Weeze oder
    Kempen-Aldekerk-Nieukerk-Geldern-Kevelaer-Weeze, mmuuuuh?
    By the railway, mmuuuh:
    Bei der Aufschrift auf dem Stellwerk könnten zur Not ohne Informationsverlust noch drei Buchstaben eingespart werden, mmuuuh! Statt Wee ze einfach WC, mmuuuuh?