Ein gebrochener Mann

Jens A., Tierarzt, Familienvater, 44 Jahre alt, könnte ein Mann in der Blüte seiner Jahre sein. Doch gearbeitet hat er seit dem 19. Oktober 2016 nicht mehr, seit Anfang des Jahres bezieht er eine Rente, und als er am Montag Vormittag in den Saal A 105 des Landgerichts Kleve trat, sahen die Zuschauer einen Menschen, der an den Folgen einer Straftat zerbrochen ist.

Zum Prozessauftakt verbarg der Angeklagte Theo H. sein Gesicht hinter einem Aktenordner. Rechts von H. sein Verteidiger Harald Gruhn

A. kam nicht allein, er kam in Begleitung seiner Frau und der ihn behandelnden Psychotherapeutin, und auch Cornelia Zander, die Zeugenbetreuerin des Landgerichts, war im Einsatz. Um ihm den Anblick seines Peinigers zu ersparen, musste der Angeklagte Theo H. (46) in einen anderen Raum gehen. Er durfte die Aussage seines Opfers nur per Videoschaltung verfolgen.

Der Tierarzt berichtete von den 14 Minuten am 19. Oktober 2016, die er in Todesangst verbrachte, die sein Leben aus der Bahn warfen und deren juristische Aufarbeitung nun die Aufgabe der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Kleve unter Vorsitz von Richter Jürgen Ruby ist.

Schwere Körperverletzung und räuberische Erpressung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, so lautet die Anklage. Der Landwirt hatte in blinder Wut mit einer Eisenstange auf die beiden Tierärzte eingeschlagen, weil er angesichts eklatanter Mängel in der Schweinehaltung, die diese bei der Hofinspektion festgestellt hatten, eine Kürzung der Subventionen befürchtete.

Einem der beiden Kontrolleure, einer Frau, gelang nach einem ersten Schlag des Bauern die Flucht; die Tierärztin rief sofort die Polizei und verhinderte damit womöglich das Schlimmste. Ihr Kollege konnte nicht entkommen. Mit brüchiger Stimme berichtete er im Gerichtssaal, wie er die Attacke erlebte.

Nachdem die Kontrolleure die Mängel entdeckt hatte, ging Jens A. zurück zum Auto, um sein Handy zu holen. Mit der Kamera wollte er die Missstände dokumentieren. Er befand sich gerade in der hintersten Ecke des Schweinestalls, als Theo H. das Licht löschte. „Ich hörte ein Geräusch hinter mir und sah, wie er mit einer Stange in der Hand ausholte“, so A.

Der erste Schlag traf seine Kollegin, die zu Boden ging. „Er stieg über sie hinweg und kam auf mich zu. Ich habe ihn angeschrien, er solle aufhören, doch es war zu spät. Er ist auf mich losgegangen und schlug mehrfach in Richtung meines Kopfes.“

A. versuchte, die Schläge mit dem Arm abzuwehren. Sein Ellbogen brach, der Unterarm brach, ein weiterer Schlag riss ihm die Brille vom Kopf. Beim Versuch wegzurennen, stürzte er und verdrehte sich das Knie. Theo H. verfolgte ihn in blindem Zorn und schlug weiter auf ihn ein. A. flehte um sein Leben, verwies auf Frau und Kinder. Der Bauer schlug weiter zu.

Der Angriff endete erst, als A. sagte, man könne doch eine Lösung finden. Daraufhin verlangte der Landwirt vom Prüfer, einen positiven Bericht abzufassen. Wenn von seinen Subventionen auch nur ein Prozent abgezogen werde, so drohte er, komme er zu A. nach Hause und werde ihn und seine Familie umbringen.

Wenig später erschien die Polizei und beendete den Angriff, doch die Folgen der Tat verfolgen den in Weeze lebenden Tierarzt bis heute. Die körperlichen Folgen – Schmerzen in Schulter, im Arm und in den Beinen sowie Bewegungseinschränkungen – sind das Eine. Weitaus gravierender sind die psychischen Beeinträchtigungen.

A. leidet unter permanenten Alpträumen und Angstzuständen, traut sich kaum aus dem Haus und erschreckt sich selbst beim Klingeln des Telefons. „Ich versuche mich, so gut es geht, abzulenken“, sagt er, „aber es gibt immer wieder Flashbacks und die Angst, dass es wieder passiert.“

Bericht vom 1. Prozesstag:

„Ich weiß nicht, wie lange der noch auf meinen Kollegen einschlägt…“

Tierärztin Alina B. im Notruf, der vor Gericht vorgespielt wurde

Der Notruf, der im Gerichtssaal vorgespielt wird, dauert sieben Minuten. Nach 44 Sekunden muss die Vorführung jedoch abgebrochen werden. Die Frau, die als Zeugin zu ihrem Anruf vom 19. Oktober 2016 befragt werden soll, verkraftet die Erinnerung an das Geschehen auf dem Bauernhof in Uedem-Keppeln nicht mehr. Vor der Unterbrechung war eine Frau mit Panik in der Stimme zu hören, die der Polizistin in der Einsatzleitstelle berichtet: „Kommen Sie schnell… Mein Kollege ist noch da drin, und ich weiß nicht, wie lange der noch auf den einschlägt.“

Zwei Tierärzte in Diensten des Kreises Kleve, ein Mann und eine Frau, waren zu einer angemeldeten Kontrolle bei Theo H. erschienen, einem Landwirt aus Keppeln, der Milchvieh hielt, Rinder züchtete und Schweine mästete. Bei den Schweinen fanden sie gravierende Mängel in der Haltung. „Es fiel uns auf, dass seit längerem ein teilweise hochgradiges Kannibalismusproblem vorlag“, so die Tierärztin gestern im Gericht.

Das heißt: Die Tiere bissen sich gegenseitig die Ohren ab, oder sie fraßen sich gegenseitig die Schwänze. Als die beiden Behördenmitarbeiter die Fälle fotografisch dokumentieren wollten, drehte der Bauer, der den Hof von seiner Mutter gepachtet hatte, durch. Er löschte das Licht im Schweinestall, griff zu einer 70 Zentimeter langen Eisenstange und schlug damit wahllos auf die beiden Behördenmitarbeiter ein.

Die Frau erlitt eine Platzwunde, konnte flüchten und die Polizei rufen. Der Mann trug mehrere Knochenbrüche und ebenfalls eine Platzwunde davon, schaffte es trotzdem irgendwie wegzurennen, wurde wieder eingeholt und erneut malträtiert. Erst als er um sein Leben bettelte und seine Kinder und seine Frau erwähnte, ließ Theo H. von seinem Opfer ab. 14 Minuten dauerte das Geschehen – 14 Minuten in Todesangst.

Wenig später konnten die Polizeibeamten den Gewalttäter in der Küche seines Wohnhauses festnehmen. Er leistete keinen Widerstand. Seit Donnerstag muss er sich wegen schwerer Körperverletzung, räuberischer Erpressung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit vor dem Landgericht Kleve verantworten.

Vom Vorsitzenden Richter Jürgen Ruby zu dem Ereignis befragt, meinte er : „Das war natürlich ein großer Fehler.“ Seine Aussage, in kurzen Sätzen und mit monotoner Stimme vorgetragen, machte deutlich, dass er sich durch die Prüfung in seiner Existenz bedroht sah. Wenige Wochen zuvor war auf seinem Hof eine Scheune niedergebrannt und hatte seinen Traktor zerstört. Es folgte eine Rechnung von über 10.000 Euro von der Feuerwehr, die Versicherung legte sich quer – und dann kamen auch noch die Prüfer, von deren Bericht es abhing, ob er für die Schweine Subventionen erhielt. Als er sah, welche Richtung die Kontrolle zu nehmen drohte, verlor er die Fassung: „Vor lauter Wut habe ich dann mit der Eisenstange geschlagen.“

Der Prozess wird am 13. August mit der Vernehmung des zweiten Veterinärs fortgesetzt. Der Tierarzt leidet seit dem Angriff an schweren Angstzuständen, die ihm selbst einfachste Alltagstätigkeiten unmöglich machen. Seit dem Vorfall ist er dienstunfähig und in dauerhafter psychologischer (teilweise stationärer) Behandlung. Seine Zeugenbefragung soll zu seinem Schutz ohne die Anwesenheit des angeklagten Landwirts durchgeführt werden.

Der Prozess wird am 20. August mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt. 

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12 Kommentare

  1. 12

    Der Landwirt ist „nur“ wegen schwerer Körperverletzung etc. angeklagt, weil er ja wieder vom Opfer abließ, als der Tierarzt in seiner Not dann doch die geforderte Änderung des Berichts in Aussicht stellte … für mehr reicht es dann rechtlich nicht

     
  2. 11

    Was wurde aus „echte kriminalpolizei“

    Die. Der. Es. haben Beiträgen wie diesem immer erhellende und verständlich Rechtseinordnungen angefügt.

     
  3. 10

    @ Klever
    Bei allen Verbrechen gilt die versuchsstrafbarkeit.

    Es sitzen genug wegen versuchten Mordes lebenslang.

     
  4. 9

    @5 versuchter Mord gibt es so nicht.
    Anders wäre es, wenn der Tierarzt verstorben wäre. Zumindest zwei Merkmale (Habgier (Entzug der Subventionen) und Heimtücke (ortskundiger schaltet das Licht aus)) würden für Mord sprechen. So wird es bei einem versuchten Totschlag enden.

     
  5. 8

    @GH Der Landwirt wird womöglich mit einer Bewährungsstrafe davon kommen und weiter seine Schweine füttern können. Seine örtlichen Landwirtskollegen haben auch schon Verständnis für den ‚Verzweifelten‘ signalisiert.

    Wer für sein Leben geschädigt ist, das ist der Tierarzt. Seine berufliche Existenz ist ruiniert, seine psychische Lage ist durch das Trauma auch fast zwei Jahre nach der Tat schwierig, so etwas wirkt sich auf alle Bereiche des Lebens aus, eine grundlegende Besserung scheint nicht in Sicht. Bleibt zu hoffen, dass der Mann alle Behandlungsmöglichkeiten ausschöpft, die in solchen Fällten angeraten sind.

     
  6. 7

    5 H. ) Es ist sicher kein Trost für das bedauernswerte Opfer. Mann sollte allerdings auch bedenken das der Täter sich für den Rest seines Lebens erledigt hat. Zu der nicht geringen Strafe und seinem sozialen Absturz wird er sicher sein Eigentum verlieren denn es wird noch eine riesige Welle Kosten auf ihn zu kommen und ob er da noch glückliche Zeiten vor sich hat wage ich zu bezweifeln.

     
  7. 6

    Es stellt sich bei solchen Vorfällen immer noch eine andere Frage:

    Was tut eigentlich der Arbeitgeber (hier der Kreis Kleve), um seine Mitarbeiter in Zukunft vor solchen Ãœbergriffen zu schützen oder sie zumindest vorzubereiten oder für Gefahrensituationen zu sensibilisieren?

    Normalerweise werden Kontrollen im Bereich der Ordnungsämter ja nicht zu zweit durchgeführt. Ist das jetzt generell anders, werden regelmäßig Sicherheitstrainings durchgeführt, gibt es andere Möglichkeiten oder gabs, wie so oft eine Alibi-Veranstaltung und danach keine Veränderungen?

    Für die Mitarbeiter ist zu hoffen, dass auch in Zukunft an ihre Sicherheit gedacht wird.

     
  8. 5

    Wo kommt dort eigentlich die verminderte Schuldfähigkeit her?

    Als leihe seh ich da keine, ganz im Gegenteil. Ich sehe da gar eher versuchten Mord…

     
  9. 4

    Da hilft nur ein lebenslanges Berufsverbot. Niemand hat das Recht einen Menschen fast tot zu prügeln. Was macht so jemand mit seinem Tierbestand? Eine Schande für alle Landwirte!

     
  10. 3

    Den Opfern kann man nur wünschen, dass sie hoffentlich irgendwie den Weg zurück ins Leben finden.
    Ich wünsche es Ihnen.