Der dritte Tag

Nach mehreren Stunden mit Zeugenvideos brachte am dritten Verhandlungstag die erste leibhaftige Zeugin eine weitere Wendung in den an Überraschungen reichen Prozess gegen vier Wanderarbeiter aus Rumänien, die der gemeinschaftlichen Vergewaltigung einer Landsmännin angeklagt sind (mein Bericht für die RP)…

Rupa C. ist 35 Jahre alt und hat ein sechs Monate altes Baby im Arm, das sie vor Beginn ihrer Aussage einer Justizbeamtin übergibt – der Vater des Kindes ist Costinel L., Rupas Ehemann und einer der Angeklagten. Er hatte bisher als einziger etwas zur Tat gesagt und sie als vielleicht eher ungewöhnlichen, aber einvernehmlichen Sex charakterisiert.

Nun berichtete Rupa C. der 1. großen Strafkammer unter Richter Jürgen Ruby, wie eines Morgens im Februar 2011 um vier Uhr in der Frühe ihr Handy klingelte. Am anderen Ende der Leitung: Florina F., das Opfer. Laut Rupa sagte die Frau, sie sei bereit, die Unschuld ihres Mannes zu bestätigen, aber sie benötige etwas Geld – für einen Anwalt und für die Reise nach Deutschland.

Per Western Union überwies die zu diesem Zeitpunkt hochschwangere Rupa C. 650 Euro nach Rumänien (500 davon hatte sie sich leihen müssen), drei Tage danach sollte es bei McDonald`s in Frankfurt zu einem Treffen kommen, bei dem das weitere Vorgehen besprochen werden sollte. Allein: Florina F. erschien nicht. Statt dessen meldete sich ein Mann, der auf Rumänisch „der Hai“ heißt, plötzlich 30.000 Euro forderte und mit Drohungen gegen die Kinder garnierte.

„Der Hai“ könnte der aktuelle Zuhälter der Frau sein. Gewissheit brächte nur die Aussage von Florina F. selbst, doch die kam bekanntlich nicht. Statt dessen wurde das mehrstündige Video ihrer richterlichen Vernehmung gezeigt. Die vier Anwälte der Angeklagten beantragten gestern mit einem ganzen Strauß von Begründungen, die Verwertung dieses Videos als Beweismittel nicht zuzulassen, und so unternahm Richter Ruby am Ende des Prozesstags mit Hilfe einer aktuellen Handynummer und einer Dolmetscherin mit Engelszungen einen weiteren Versuch, Florina F. davon zu überzeugen, persönlich zu erscheinen – der Ausgang ist nicht bekannt.

Die Ehefrau des Angeklagten zahlte jedenfalls nicht, ging zur Polizei, erzählte ihre Geschichte nun dem Gericht und verabschiedete sich mit einem melodramatischen Auftritt: „Herr Richter, ich möchte noch eines sagen: Mein Mann ist unschuldig, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ In einer anschließenden kurzen Verhandlungspause durfte Costinel L., der seit Ende Januar in Untersuchungshaft sitzt, sein Kind einige Minuten liebkosen.

Danach holte ihn und die anderen drei Angeklagten die Wirklichkeit wieder ein, und zwar in Form einer weiteren Videoeinspielung. Der Freund des Opfers war ebenfalls nicht als Zeuge erschienen, sodass auch hier hilfsweise die richterliche Vernehmung herhalten musste. Eine Passage aus dieser Befragung strapazierte die Gemüter aller Anwesenden – weil das darin geschilderte Vorgehen kaum nachvollziehbar erschien. Der Freund hatte in einem Nebenzimmer geschlafen und sagte, dass er beim Aufwachen Schreie seiner Freundin gehört habe. Und dann? „Ich habe genau gewusst, was dort passiert. Deshalb bin ich auf die Straße gegangen und habe ein Radfahrerin gebeten, die Polizei zu rufen. Das war das Beste für uns beide.“

Fortsetzung am 5.9. um 10 Uhr.

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3 Kommentare

  1. 3

    … und hier der vom fünften Verhandlungstag:

    5. Verhandlungstag, drei Kriminalhauptkommissare als Zeugen – und eine weitere Wendung im Prozess gegen vier Bauarbeiter aus Rumänien, denen gemeinschaftliche Vergewaltigung vorgeworfen wird. Denn nachdem vorgestern mehrere Polizeibeamte nicht im entferntesten daran dachten, dass hier eine Sexualstraftat vorgelegen haben könnte, kam nunmehr von den drei Beamten die klare Botschaft, dass die Florina F. sehr wohl mehrfach vergewaltigt worden sein könnte.

    Besonders eindringlich geriet die Schilderung der 46 Jahre alten Polizistin, die Florina F. mit Hilfe eines Dolmetschers erstmals eingehend zu den Geschehnissen befragte. „Sie vermittelte das Bild, Opfer einer Sexualstraftat geworden zu sein“, so die Beamtin. Sie habe zwar relativ emotionslos erzählt, »aber sie hat zusammengekauert auf einem Stuhl gesessen, ihr war immer kalt.«

    Florina F. sei ein »einfaches Mädel«, das sie von der körperlichen und intellektuellen Entwicklung her niemals auf 18 Jahre geschätzt hätte. »Sie trug Kindergröße 146, wog höchstens 50 Kilo, und wenn ich sie im Hotel besucht habe, lief im Fernsehen immer der Kinderkanal«, so die Beamtin. Ein Kollege ergänzte: »Sie wirkte abgestumpft und gewalterfahren.« Was vielleicht auch nicht weiter verwundert, wenn man vom eigenen Bruder verprügelt und zur Prostitution gezwungen wird.

    Die Beamten waren die ersten, die sich mit Hilfe eines offiziellen Dolmetschers mit Florina F. verständigen konnten. Bei der ersten Begegnung mit der deutschen Polizei – Florinas Freund hatte sie in der Nacht zu der Wohnung in der Kirchstraße 19 gerufen - hatte sie noch erleben müssen, wie Costinel L. mit den Beamten geredet und die Situation »geklärt« hatte. Er war der Anführer des Bautrupps, sprach als einziger vor Ort einigermaßen Deutsch – und sitzt jetzt als mutmaßlicher Haupttäter auf der Anklagebank.

    Die Aussagen der drei Beamten am Mittwoch machten es allerdings auch deutlich, wie schwierig es ist, zur Wahrheit vorzudringen, wenn das Opfer vermutlich in Ermangelung eigener Möglichkeiten verwirrend handelt und zudem kaum in der Lage ist, den Sachverhalt widerspruchsfrei zu schildern. So sagte Florina F. in ihrer ersten Vernehmung, sie sei (nach den Ãœbergriffen am Nachmittag) in der Nacht von allen vier Angeklagten je zweimal vergewaltigt worden.

    Diese Aussage relativierte sie einen Tag später - aber da war immer noch von vier Tätern in der Nacht die Rede. Bei der richterlichen Vernehmung wenige Tage später wiederum betonte sie, dass einer der vier - Ionut U. - sie zwar nachmittags vergewaltigt habe, aber bei den Geschehnissen in der Nacht nicht mehr beteiligt gewesen sei. Statt dessen habe er lachend in der Nähe gestanden. Solche Widersprüche befeuern die Verteidigung in ihrem Bemühen, Zweifel zu säen.

    Dennoch: Die letzte Version von Florina F. könnte zur Aussage ihres Freundes passen. Viorel H. wurde angeblich in der Nacht von den Schreien seiner Freundin wach, stürmte dann aber nicht in das fragliche Zimmer, sondern ging statt dessen auf die Straße und bat eine Passantin, die Polizei zu rufen. Auf dem Weg nach draußen sei er von Ionut U. aufgehalten und bedroht worden: „Halt` die Klappe, sonst bring` ich dich um!“ Er habe sich losgerissen, dabei sei seine Jacke beschädigt worden. Der tatsächlich vorhandene 15 Zentimeter lange Riss in dem Kleidungsstück ist eine der wenigen Gewissheiten, die dieser Prozess bisher zu bieten hat.

    Fortsetzung am 19. September, 10 Uhr.

     
  2. 2

    Der Vollständigkeit halber hier der Bericht vom vierten Verhandlungstag:

    Wie muss ein Vergewaltigungsopfer wirken, wenn es Zeugen gegenübertritt? Muss es weinen, in Tränen aufgelöst sein, zittern, zerrissene Kleidung vorweisen, Verletzungen zeigen?

    Am vierten Tag des Prozesses gegen vier Bauarbeiter aus Rumänien, die der gemeinschaftlichen Vergewaltigung angeklagt sind, sagten gestern fünf Polizeibeamte und ein Zeitungszusteller als Zeugen aus. Alle waren sie Florina F. begegnet, und zwar nur kurze Zeit nach den Ereignissen, die in der Anklage als ein mehrtätiges Martyrium geschildert wurden.

    Einer der fünf Beamten – er war in der Wohnung an der Kirchstraße 19 in Kleve – berichtete, die 19-jährige Frau habe geweint; in ihrem Gesicht habe er verlaufene Wimperntusche bemerkt. Dies war der einzige Hinweis darauf, dass in der Wohnung Geschehnisse zum Nachteil von Florina F. vorgefallen sind. Ansonsten ergaben die Zeugenaussagen in ihrer Gesamtheit ein eher ungewöhnliches Bild vom Verhalten eines mutmaßlichen Opfers.

    Dem Beamten in der Wohnung sagte die Frau in derber deutscher Ausdrucksweise in Ein-Wort-Sätzen, dass es verschiedene sexuelle Handlungen gegeben habe. Dabei deutete sie auf ihren (nicht angeklagten) Freund, so dass der Beamte, der (wenig überraschend) des Rumänischen nicht mächtig war, aus den wenigen verständlichen Wortfetzen sowie aus den Gesten der Frau und der anderen Mitbewohner folgende Situation erschloss: Es gab überlauten Sex, durch den sich einer Bewohner gestört fühlte, was dann zu einem Streit führte. Die Polizei verbuchte den Fall denn auch zunächst als »nächtliche Ruhestörung«.

    Zwei weitere Polizisten, die etwas später an den Einsatzort gelangten, schilderten, dass Florina F. bereits in einem Polizeiwagen gesessen habe, aus dem sie dann aber widerspruchslos ausgestiegen sei. »Das Verhalten der Frau deutete in keiner Weise darauf hin, dass es sich um ein Opfer handelte«, so ein 36-jähriger Polizist. »Sie sah überhaupt nicht derangiert aus«, so sein Kollege (37).

    Eine weitere Polizeistreife kam mit der Frau und deren Freund in Kontakt, als die beiden in den frühen Morgenstunden auf der Hoffmannallee liefen. »Sie war nicht verletzt, sie hat nicht geweint, sie hat absolut ruhig gewirkt«, so der Eindruck eines Polizeibeamten. Wieder gab es Sprachschwierigkeiten, wieder fielen derbe sexuelle Ausdrücke, und erneut schlossen der 43-Jährige und sein Kollege darauf, dass es hier um Probleme nach gemeinschaftlichem und einvernehmlichen Sex gegangen sei. »Sie sahen aus, als ob sie nach einer Ãœbernachtungsmöglichkeit suchen.« Er wies den Weg zum Schweizerhaus, damit war der Fall für ihn erledigt. »Es war eine abgeschlossene Kommunikation im Rahmen der Möglichkeiten.«

    Alle Polizisten, die in der Nacht im Einsatz waren, zeigten sich völlig überrascht, als sie später von den Vergewaltigungsvorwürfen erfuhren. Auch der Zeitungszusteller, der auf Bitten des Pärchens die Polizei gerufen hatte, schilderte in seiner Zeugenaussage nichts Auffälliges: »Die Frau war ruhig, nicht wütend, hat nicht geweint, und sie hat auch keinen Arzt verlangt.«

    Es wäre von Vorteil für das Verfahren, wenn das mutmaßliche Opfer sich zu diesen Dingen äußern würde. Richter Jürgen Ruby lässt denn auch nichts unversucht, um dies zu erreichen. Versuche, per Handy Kontakt aufzunehmen, scheiterten bereits – vermutlich wurde das Gespräch abgewiesen. Nun hat er ein Rechtshilfeersuchen gestartet, mit dem Ziel, Florina F. per Videokonferenz zu vernehmen. Doch auch hier ist der Ausgang ungewiss.

    Der Prozess wird am 7. September fortgesetzt.

     
  3. 1

    hallo, Danke. Eine detaillierte Beschreibung der Möglichkeiten in einem Rechtsstaat. Anders sollte man es nicht wollen.