Chuzpe, am Beispiel Kreishandwerkerschaft

Zieht ohnehin bald nach Goch um
Zieht ohnehin bald nach Goch um

Das Jiddische hat die deutsche Sprache nicht nur um die berühmte Hechtsuppe und den Guten Rutsch bereichert, sondern auch um das schöne Wort Chuzpe. Damit wird eine gewisse Dreistigkeit bezeichnet, und in dem Wort schwingt eine gewisse Anerkennung für eine Form sozialer Unerschrockenheit mit. Um zu erklären, was das mit der altehrwürdigen Kreishandwerkerschaft zu tun, muss ich allerdings etwas ausholen.

Es fängt an mit zwei lesenwerten Artikeln aus der Rheinischen Post. Darin war zu lesen, wie der Tirsan-Konzern, der sein Werk in Goch zum 31. Juli schließt, die Mitarbeiter der zum Konzern gehörigen Marke Kässbohrer behandelt - sie bekommen trotz oftmals langjähriger Betriebszugehörigkeit und loyaler Weiterarbeit bis zur Schließung, für die eine Art Bleibeprämie versprochen worden war, keinen Cent Abfindung. Kein Sozialplan, nichts. Schon gar nicht die vollmundig versprochenen 500.000 Euro. Dann hatte der Gocher Rechtsanwalt Hans-Joachim Müller immerhin einen Kompromiss ausgehandelt: 100.000 Euro für die von ihm vertretenen Arbeitnehmer. Doch dieser Vorschlag wurde ausgerechnet von der Kreishandwerkerschaft torpediert – die hatte nämlich die Rechtsvertretung für das Unternehmen übernommen und bemängelte fehlende Rechtssicherheit. Pikant wurde die Geschichte nun dadurch, dass das Unternehmen, das seine Mitarbeiter leer ausgehen lässt, der Kreishandwerkerschaft eine Spende von 20.000 Euro hat zukommen lassen. Judaslohn? Nein, mit dem Geld soll die Ausbildung gefördert werden. „Wir erhalten manchmal Sach- oder auch Geldspenden“, so Achim Zirwes, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Das sei nicht unüblich.

Für „alles ganz normal“ war die Chefetage der Kreishandwerkerschaft dann aber doch etwas zu angezickt. Und so verschickte sie heute eine Massenmail mit „Klarstellungen“ an ca. 130 Mitgliedsbetriebe. Die dreiste Wendung:

Nach intensivem Lesen dieser beiden Artikel kann letztendlich nur der Schluss gezogen werden, dass es sich bei dem Inhalt um ein – wenn auch von den Verantwortlichen vielleicht nicht unbedingt gewolltes – ausgesprochenes Lob der Arbeit der Kreishandwerkerschaft in ihrer Funktion als Arbeitgebervertretung handelt.

Auch mit der Spende sei alles in Ordnung:

Richtig ist, dass die Kreishandwerkerschaft eine Spende in Höhe von 20.000,–€ von der Firma Kässbohrer erhalten hat. Diese Geldspende ist zweckgebunden und zwar für die Förderung der Berufsbildung junger Leute. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Spende nicht für andere Zwecke genutzt werden darf und auch nicht genutzt werden wird. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass diese Spende weit vor der endgültigen Nichtannahme des Kompromissvorschlages durch die Fa. Kässbohrererfolgte.

Und damit dieses verdammte Mistthema nun endlich aus der Öffentlichkeit verschwindet:

Wir haben bewusst darauf verzichtet, den Versuch zu starten, diese Klarstellung in der Presse unterzubringen, um auch im Interesse unseres Innungsmitgliedes eine weitere öffentliche Diskussion zu vermeiden. (…) Wir hoffen mit den obigen Ausführungen zur Klarstellung beigetragen zu haben und ermuntern Sie ausdrücklich, unsere Dienste in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen.

Nun, dafür gibt es aber kleveblog. Hier wird gerne weiter diskutiert. Und hier das Original-Dokument:

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12 Kommentare

  1. 12

    Kritisiert ihr auch einen Anwalt, der einen Freispruch für einen Gewaltverbrecher erwirkt, indem er das Gesetz radikal anwendet?
    Ich weiß, ich wiederhole mich, aber die KreiHa hat in diesem Fall Rechtsberatung gegeben. Dazu ist sie ihren Mitgliedern verpflichtet.
    Dass sie sich damit in ihrem Schreiben noch brüstet finde ich auch bedenklich.
    Dieses Arbeitgeber gequasel find ich nicht in Ordnung. Ich beschäftige langjährige Mitarbeiter die ich auch in schlechten Zeiten weiter beschäftigen konnte/kann. Dann bleibt halt weniger über. Unternehmerischen Erfolg meße ich in erster Linie am sozialen Aspekt und nicht am Gewinn. Allerdings gründet man aus Betriebswirtschaftlicher Sicht eine Unternehmen um max. Gewinn zu erzielen. Es ist Sache des Unternehmers sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Erfolg und gesellschaftliches Ansehen haben die skrupellosen. So ist es nunmal.

     
  2. 11

    Liebe Diskutanten vom Kleveblog,
    lieber Ralf,

    zunächst finde ich es super, dass das Thema hier aufgegriffen wird und das Vorgehen der Kreishandwerkerschaft diskutiert wird.

    Es ist schon sehr merkwürdig, dass eine Organisation wie die Kreishandwerkerschaft und die ihnen angeschlossenen Innungen, die immerzu ihre besondere soziale Verantwortung, das Miteinander mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Zusammenhalt im Handwerk postulieren in diesem Fall so radikal wie möglich vorgehen.

    Denkt denn einer im Haus des Handwerks (noch) in Kleve an die Sorgen, die die Kolleginnen und Kollegen bei der Firma Kässbohrer, respektive bei Tirsan machen ? Wie sie in der jetzigen wirtschaftlichen Situation einen neuen Job finden ? Wohl kaum. Denn dann hätte man sich nicht so verhalten.

    Aber so wird das alte Spiel gespielt, dass andere schon vorgemacht haben: links blinken, rechts abbiegen, Gas geben und abhauen. Da ist die KH anscheinend nicht anders.

    Kann mich meinem Vorredner nur anschließen: Sind eben bloß Arbeitgeber !

     
  3. 10

    Eine Kündigungsschutzklage verhilft den Arbeitnehmern bei Zerschlagung des Unternehmens weder zu einer Abfindung, noch zur Weiterbeschäftigung falls kein Betriebsrat existiert.
    Sie hätte dem RA möglicherweise ein stattliches Honorar in die Kasse gespült, mehr aber auch nicht.
    Der ausgehandelte Kompromiss war m.E. wenigstens etwas, das den Arbeitnehmern zum Abschied zugute kommen sollte. Und dieser zwischen AG und AN ausgehandelte Kompromiss wurde von der Kreishandwerkerschaft torpediert. Die Spende i.H.v. 20.000€ hat natürlich kein Geschmäckle… war alles viel früher.
    Wäre sowas in Frankreich passiert, würden Tirsan-Mitarbeiter sicherlich einen Besuch auf der Stechbahn abstatten.

     
  4. 9

    So viel Rechtfertigung riecht streng.
    Profitgier gegen Sozialkompetenz. Ersteres gewinnt wegen Mangel des Zweiten.
    Sind eben bloß Arbeitgeber !
    Was habt ihr erwartet ?

     
  5. 8

    Den „Bock“ hat hier eindeutig RA Müller aus Goch geschossen. Die gekündigten Arbeitnehmer sollten sich überlegen, diesen in Regreß zu nehmen. Offensichtlich hat sich ihr Anwalt von der Geschäftsführung der Firma Tirsan blenden lassen. Anstatt innerhalb der gesetzlichen Frist von 3 Wochen ab Zustellung der Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Wesel zu erheben, hat er den Ankündigungen der Firma Tirsan auf Zahlung von Abfindungen Glauben geschenkt.
    Dass die Arbeitnehmer jetzt vollkommen leer ausgehen und sämtliche Fristen versäumt wurden, ist eindeutig anwaltliches Fehlverhalten. Anwälte haben hierfür eine gesonderte Haftpflichtversicherung, die in Anspruch zu nehmen ist.

     
  6. 7

    Wie dumm sind eigentlich die Städte, daß so etwas überhaupt passieren kann? Erst bekommen sie für wenig Geld das Grundstück, sahnen alle Vorteile ab und dann machen sie sich aus dem Staub und die Mitarbeiter sind die Dummen. Der Hammer in Goch ist jetzt, daß eine holländische Firma ein Grundstück von der Stadt Goch bekam, den Kaufpreis aber nicht zahlte und nun steht das riesige Receyclingwerk fast fertig auf dem Grundstück der Stadt Goch. Wie man hört, haben auch die Unternehmer ihr Geld nicht bekommen. Lassen sich die Städte keine Bürgschaften für den Kaufpreis geben? Unter Bürgermeister Lange wäre so etwas nicht passiert.

     
  7. 6

    Nochmals.
    natürlich ist es beschämend wie die Firma Tirsan sich verhalten hat. Aber auch die Fa. Tirsan ist im grundgenommen ein Handwerksbetrieb und hat als Mitglied der KreiHa anspruch auf Rechtsberatung. Nichts anderes hat die KreiHa getan. Da können Sie noch hetzerisch schreiben. Jetzt auch noch die kleinen Handwerker mit ins Spiel zu bringen ist genau so daneben wie Ihr damaliges Bäckerrequiem.

     
  8. 5

    @alle Diskutanten: Im Verteiler des Briefs stehen zig Dachdecker, Schreiner, Maler, Lackierer, Klempner usw. Vielleicht bin ich ja etwas altmodisch oder naiv, aber Tirsan passt in meinen Augen nicht richtig da rein. Und ich denke, jeder dieser Inhaber dieser Kleinbetriebe dürfte sich schämen für die Numer, die das Gocher Mitgliedsunternehmen mit Hilfe der Kreishandwerkerschaft durchgezogen hat.

     
  9. 4

    Verwerflich finde ich, dass Tirsan jetzt die Möglichkeit nutzt die langjährigen Mitarbeiter zu „entsorgen“. Die Gelände und Hallen werden sie aber behalten. Wenn Tirsan dann in 2 Jahren wieder genügend Aufträge hat, werden sie die alten Mitarbeiter wieder in einer neuen Gesellschaft beschäftigen und umgehen so das Arbeitsrecht.

    Aber so ist das offensichtlich in der freien Wirtschaft. Manchmal kann ich es verstehen wenn in Frankreich die Arbeiter ganze Fabriken besetzen und das Management „entführen“.

    Der Kreishandwerkerschaft kann man hier keinen Vorwurf machen.
    Sie müssen für Ihre Mitglieder arbeiten. Ich finde das sie vollkommen korrekt gehandelt haben. Lediglich die Presse hat wiedermal schlecht recherchiert oder einseitig berichtet.

     
  10. 3

    Tja
    aus Unternehmersicht find ich es eine Schweinerei wie Tirsan/Kässbohrer da ihre Mitarbeiter behandelt hat. Die HWK hat allerdings nicht ganz unrecht. Das ist tatsächlich ihr Job. Dafür zahlt man Beiträge und sie vertreten halt den Arbeitgeber. Ob ethisch korrekt ist ein anderes Thema.

     
  11. 1

    @ Herrn Daute

    der Fariness halber sollten Sie dann auch den GESAMTEN Brief der Kreishandwerkerschaft veröffentlichen und nicht nur die für den gemeinen Arbeitnehmer interessanten Passagen.
    Ihre Auszüge/Zitate verzerren das Geschriebene und tragen dadurch nicht wirklich zu einer Klärung bei!!!!!!!

    Ich möchte hier keinesfalls den Verein Tirsan verteidigen. Das was die da abziehen ist eine Sauerei (vor allem wenn man bedenkt, was die für die Ansiedelung in Goch alles bekommen/vergünstigt bekommen haben!!!).
    Wenn jedoch die Kreishandwerkerschaft in Funktion des Arbeitgebervertreters darauf hinweist, dass der vorgeschlagene Kompromiss dieses pressegeilen Anwalts rechtlich bedenklich ist (siehe Brief), erfüllt sie dadurch absolut Ihre Aufgabe als rechtlicher Vertreter!
    Das ein Anwalt gerne viel Wirbel macht und erstmal draufhaut liegt in der Natur des Anwalts. Das er dies in der Presse macht, kann nur als Egoaufwertung und Steigerung seines Bekanntschaftsgrades verstanden werden. Das er nicht direkt Tirsan angreift sondern den Weg über die KH wählt kann nur als inkompetentz gewertet werden.

    Seitens Tirsan sollte (außergerichtlich) ein akzeptabler Vorschlag an die Mitarbeiter über Abfindungen etc. unterbreitet werden. Damit hat die KH jedoch nichts zu tun.
    Außerdem sollten auch die Gocher Stadtväter und alle an der Ansiedelung beteiligten mal in sich kehren und sich fragen, ob es an der persönlichen Eignung liegt, dass man sich damals wie heute so von diesem türkischen Verein vorführen hat lassen/lässt .