(5/24) Eine kurze Geschichte des Kapitalismus in zwei nächtlichen Fotografien

Tintonoretto
Tintonoretto

Wenn Menschen irgendwelchen anderen Menschen Dinge in Räumen verkaufen, die ein Rechts oder Links oder Oben oder Unten kennen, heißt dies im Jargon unserer Tage „stationärer Handel“, und es klingt wie Falk-Stadtplan und Kassettenrekorder. Also nach einem aussterbenden Genre. Wie das in der Praxis vor sich geht, ist derzeit an der Hoffmannallee zu beobachten, wo im Lichterglanz einer altbackenen (aber gerade deshalb nostalgisch wirkenden) Weihnachtsbeleuchtung stadtauswärts auf der rechten Seite gleich zwei Ladenlokale mitteilen, dass sie sich aus dem Geschäftsleben verabschiedet haben, zumindest „stationär“.

Das erste dieser beiden Geschäfte war an einer Scharnierstelle zwischen alter und neuer Ökonomie angesiedelt – ein Geschäft, das Druckerpatronen verkauft. Drucker, das sind diese Geräte, mit denen man früher PDFs und E-Mails ausgedruckt hat, um sie zu lesen. Heute schaltet man nicht einmal mehr den PC ein. Und das Team von „germantintentanke“ zog die Konsequenzen und seinem eigenen Ladenlokal den Stecker. Am Schaufenster wird „lieben Kunden“ jedenfalls mitgeteilt, dass das Ladenlokal nicht mehr existiere, der Verkauf gleichwohl weitergehe. Man möge sich einen Flyer nehmen, in den nachzulesen ist: „Wir bieten Ihnen aber auch zukünftig einen gewohnt kompletten Service an. Auf der Rückseite finden Sie alle unsere Kontaktdaten.“ Dabei handelt es sich um Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Webseiten.

Schuhpin
Schuhpin

Gleich nebenan war früher einmal „Schuh Heynen“, ein Geschäft, welches wegen seiner kreativen Marketing-Ideen schon mehrfach im kleveblog erwähnt worden ist. Vor allem das überbordende Marketing-Sprech der ca. sechziger Jahre, das sich in der Dekoration des Schaufensters niederschlug, war vom Dadaismus nicht weit entfernt. Slogans wie „700 Parkplätze gleich vor der Haustür!!!“, womit der clevere Geschäftsinhaber die Parkplätze des EOC meinte, bewiesen, wie hier ein einzelner Fachhändler mit ein wenig Geschick gigantische Standortvorteile auch für sich selbst herausschinden konnte.

Hier einige der Klassiker aus dem Schaufenster, die irgendwie schon auf Mad-Men-Niveau waren, vielleicht mit Betonung auf das Adjektiv. Sie kamen pünktlich zum Start des Winterschlussverkaufs ins Schaufenster und sorgten bei der Lektüre stets für ein wohliges Kribbeln im Bauch:

  • Wir reduzieren Sie profitieren
  • Jetzt! Kaufen – und sparen im WSV
  • Qualität im Blickpunkt
  • jetzt zugreifen
  • Wir haben stark reduziert
  • 3814 Paar Schuhe stark reduziert im WSV
  • PREIS-Schmelze WSV

Vor allem das basale „jetzt zugreifen“ ohne jedes weitere Argument führte einen psychologisch geradewegs in die Kindheit, wo die elterliche Autorität auch keiner Begründung bedurfte: „Jetzt aber ab ins Bett!“ Und auch die stark reduzierten „3814 Paar Schuhe“ brachten beim durch ein Übermaß an schwärmerischer Konsumentenverführung längst abgestumpften Kunden eine Saite zum Klingen, die in der Werbung normalerweise nicht gern gespielt wird: „Stimmt das wirklich?“

Doch auch diese scheinbar unverwüstliche Festung des inhabergeführten Einzelhandels ist perdu, das Ladenlokal ist leergeräumt und es sieht nicht so aus, als ob hier noch einmal die Geschäftstätigkeit der früheren Jahrzehnte aufgenommen werden würde. Gab es einen finalen Schlussverkauf? Wurde das Geschäft ein Zalandopfer? Wir wissen es nicht, aber das Schaufenster mit seinen liebevoll aufgetürmten Schuhen wird uns fehlen…

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20 Kommentare

  1. 20

    Danke Frank für den Tipp!

    Für mich kommt auch nur Kauf im Laden in Frage. Ich hatte leider keinen Flyer – oder habe ihn einfach übersehen. Jetzt weiß ich wo ich meine Patronen bekommen kann.

     
  2. 19

    ganz daovn ab, dass Gebäude war schon vor 15 Jahren dringend sanierungsbedürftig, getan wurde seitdem auch nix.

     
  3. 18

    Ich war da schon drin. Gegenüber dem ehemaligen Schweizerhaus.

    Sehr freundlich und kompetent!

    Ich finde wir sollten froh sein hier in Kleve sowas zu haben, ist eben was anderes als im Internet zu bestellen. Neben den allgegenwärtigen Diskountern und Ketten ist es doch gerade schön mal das was eine City ausmacht.

     
  4. 17

    … „ohne Einzelhandel tote Städte“ … und tote Innenstädte sind Orte, an denen Menschen nicht gerne wohnen oder mal spazieren gehen, die zu Vandalismus und sonstigen unerwünschten Erscheinungen einladen … es sind dann keine Orte der Begegnungen und der Kommunikation mehr … kein Ort mehr, wo man ohne große Planung hingehen kann und neue Eindrücke ohne großes Zutun bekommt … wo man hingehen kann, wenn einem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt und man keine Lust hat, Leute anzurufen … wo man einfach gucken gehen kann … irgendein ‚Theaterstückchen‘ gibt es immer zu sehen …

     
  5. 15

    @14 rd

    Das erahnte ich schon denn wenn ich im www nach einer neuen Lack / Leder / Stöckelschuh
    Kombination für meinen sonntäglichen Ausgang suche dann bekommt kleveblog das mit und mein Nachfolger am Bildschirmarbeitsplatz freut sich über die entsprechenden Angebote 🙂

    Ich dachte mir auch, dass die Anzeige unerwünscht ist, geschmunzelt habe ich trotzdem, noch passender wäre Zalando gewesen. Trotzdem unsportlich meinen Post einfach zu löschen :-)=

     
  6. 14

    @pd Zum Verständnis: Ich habe ein relativ einfaches Prinzip: Es gibt direkte Werbekunden und, es gibt Google-Anzeigen. Sobald ich merke, dass die Google-Inhalte meinen direkten Kunden ins Gehege kommen, werden diese Inhalte blockiert.

     
  7. 12

    In der unmittelbaren Nachbarschaft – etwas weiter stadtauswärts – auf der gleichen Strassenseite scheint der Konsum allerdings zu funktionieren: Mega Food handelt mit Produkten für die kreative und internationale Küche. Erst am vergangenen Samstag habe ich dort noch Küchenkräuter gekauft und ich hatte den Eindruck, dass das Konzept funktioniert.

     
  8. 10

    Der Inhaber des Schuhhauses, Herr Budde, ist verstorben, der Nachwuchs eher im Hause der Sparkasse und des Karnevals statt im Schuhhandel unterwegs. Das Gebäude wird verkauft, macht also Sinn derzeit keinen Nachmieter zu suchen.

     
  9. 9

    … manchmal sind Kundenorientierung und Preise in örtlichen Läden aber auch so, dass ich lieber online bestelle … Samstag in einem Kunstfachladen in Kleve gewesen … da fasst man besser erst gar nix an …

     
  10. 8

    Da kommt es auch auf den Einzelnen an … man kann es mit Büchern auch andersrum machen … probelesen bei amazon und kaufen im örtlichen Buchhandel …

     
  11. 7

    Der Endkunde hat heutzutage ein Kaufbedürfnis und sucht im Internet, wie sehr viele von uns auch, so wird heute (leider) eingekauft!
    Viele Fachhändler haben diesen Weg meines Erachtens aber verpennt.
    Als positives Beispiel sei hier das Hutgeschäft Dreis von der Kavariner Straße zu nennen, der einen nicht geringen Anteil seines Geschäftsumsatzes über seinen eigenen Store generiert und die Zeichen der Zeit schon vor einigen Jahren richtig erkannt hatte.

    Zeitgleich eröffnet der in Deutschland so beliebte Preiskampf für die Schnäppchenjäger erst richtig im Internet bequem einzukaufen, denn Billiger geht es immer.
    Wenn man ein Produkt 1:1 vergleichen kann, dann kauft der Kunde von heute doch meistens beim billigeren … und nicht beim Fachhandel vor Ort.
    Vielleicht wäre der Weg zum Onlineshop mit Service die Idee heutzutage gewesen um weiterzukommen, bitte das nicht gleichzusetzen mit Dumpingpreisen.

    Es werden dem Preisdruck noch mehr Klever Geschäfte zum Opfer fallen, das ist nicht das Ende sondern wir sind in der Mitte der Entwicklung.

    Amazon, Zalando ectr. Internetkaufhäuser haben für 2016 steigende Umsatzzahlen vorausgesagt und mit den Versprechen am nächsten Tag nach Hause zu liefern.
    Da kann der Fachhandel, wenn er vergriffene Ware für einen Kunden erst bestellen muss, vor Ort nicht immer mithalten.

    Wir die Käufer entscheiden mit unserem Kaufverhalten (es muss für die meisten Käufer heutzutage meistens günstig oder Geiz ist Geil sein) was mit unserer Geschäftswelt in unserer Stadt letztendlich passiert.

    Der gute alte inhabergeführte Qulitätshandel bricht auch in Kleve nun kontinuierlich weg.
    Das Geschäftsbild der heutigen Zeit ist von Telefonanbietern, Billigramsch und großen Verkaufsketten also Billigketten- oder Großkonzerne in der Stadt geprägt.

     
  12. 5

    Ist es ein Zufall das beide Geschäfte direkt nebeneinander liegen oder hat das eventuell mit dem Vermieter zu tun?
    Der Fassade nach scheint es das gleiche Gebäude zu sein.

     
  13. 4

    @2.Laloba,

    mit dem Eintausch der leeren Patronen war es immer sehr preiswert und angenehm. Wie und wo Laloba
    holst du nun die Patronen ähnlich günstig? (Qualität war auch ok.)

     
  14. 3

    Noch ein Fall? Beim Reintex-Teppichladen an der Heldstraße heißt es „Wir räumen – alle Teppiche zum halben Preis oder günstiger“ … innen sieht es nach Aufgabe aus …

    Und im Waldschlösschen geht’s ab Mitte Dezember asiatisch zu … schade um den altmodischen niederrheinischen Charme … ab und zu

     
  15. 2

    Hab in dem einen Laden nie Druckerpatronen gekauft, aber dieser Kalender-Beitrag ruft in mir das unbestimmte Gefühl hervor, es wäre gut, sich noch schnell einen der Flyer zu besorgen … für alle Fälle