Tschüss Alfred, mach’s gut!

Letzter Tag an der Linde: Alfred Mulder
Letzter Tag an der Linde: Alfred Mulder
Letzter Tag an der Linde: Alfred Mulder

Heute war sein letzter Tag auf dem Markt Linde: Alfred Mulder, der zusammen mit seiner Frau Marlis 28 Jahre lang an seinem Stand Obst und Gemüse verkaufte, geht in den wohlverdienten Ruhestand – und der Wochenmarkt verliert eine Institution, ein vertrautes Gesicht. Mach’s gut, Alfred, du wirst fehlen! Zum Glück konnte ein Nachfolger gefunden werden, sodass die Marktbesucher auch weiterhin die Auswahl zwischen mehreren Gemüseständen haben. Die Eeheleute führten den Marktstand in dritter Generation, begonnen hatte alles damit, dass Alfred Mulders Großvater überschüssiges Gemüse aus dem eigenen Garten sowie aus den Gärten seiner Nachbarn in Hau mit dem Pferdefuhrwerk nach Kleve zum Markt brachte. Das Geschäft lief so gut, dass er sich als erster Markthändler einen Lastwagen leisten konnte. Der wurde allerdings im Krieg konfisziert, aber die Mulders machten trotzdem weiter – bis zum heutigen Samstag.

Weitere Informationen liefert ein Artikel in der NRZ: Abschied vom Wochenmarkt

Und in der wunderbaren Zeitschrift „Der Klever“ hat die geschätzte Wiltrud Schnütgen einen Beitrag über die Geschichte, heutige Verfassung und Zukunft des Wochenmarkts verfasst, der hier hinter dem Weiterlesen-Button ebenfalls nachzulesen ist.

Eine kurze Geschichte der Klever Marktwirtschaft

Warme Einlegesohlen, Silberputzmittel, frisch gepresstes Leinöl, tolle Schals, alte Beschläge und köstlich duftende türkische Leckereien, viel, viel mehr und dazu natürlich das Standardangebot eines jeden Marktes mit Obst, Gemüse und Pflanzen – mein Marktbesuch im November war ein echtes Erlebnis, so dass ich im Februar gleich wieder dort war. Nein, nicht in Kleve, sondern in Berlin-Schöneberg auf dem Winterfeldtplatz.

Ein Samstag im Frühjahr auf dem Markt an der Linde: Obst- und Gemüsestände, Blumen, Tierfutter, Käse, Fisch, Geflügel und die Biostände mit Gemüse, Brot sowie Käse und Fleisch – das ist es im Wesentlichen. Nils Kaffeebude ist leider nicht da und auch sonst gibt es einige Lücken auf dem Marktplatz.

„Tja, für heute war Regenwetter angesagt, da kommen manche nicht“, sagt Julia, Mittdreißigerin und regelmäßige Besucherin des Marktes. Ihr zweijähriger Sohn Jakob rennt über den Platz, in der linken Hand ein Stück Wurst von Rouenhoff, in der rechten ein Stück Brot von der Kriemhildsmühle. Kurz darauf wandert noch eine Erdbeere in Jakobs Mund. Es ist ganz nett hier, man kennt sich, hat Zeit für ein Schwätzchen, das Einkaufen macht Spaß. Aber hat es Zukunft?

Kürzlich war ich beim Discounter direkt am Markt mit dem Auftrag, Kohlrabi zu besorgen. Es gab noch welche, aber sie waren tischtennisballgroß und kosteten 65 Cent das Stück! Auf meine Frage an die Kassiererin, ob sie diese offensichtlichen Restexemplare nicht auf niederländische Weise „twee halen, een betalen“ abrechnen könne, wurde gar nicht reagiert. Vermutlich hätte sie sich vom Zweigstellenleiter erst mal das OK geben lassen müssen. Dagegen gab es auf dem Markt richtig schöne, große Kohlrabi zu 40 Cent das Stück und wenn ich bei 10 Stück nach Mengenrabatt gefragt hätte, hätte niemand seinen Chef fragen müssen, ich hätte bestimmt noch eine elfte bekommen.

Eigentlich sind regional erzeugte Lebensmittel sind wieder gefragt – und das Angebot auf dem Markt an der Linde ist gut. Trotzdem beschleicht einen das Gefühl, dass am Marktplatz an der Linde etwas passieren muss. Bis vor einigen Jahren konnte man hier auch dienstags und donnerstags einkaufen. Der einsame Gemüsestand, der donnerstags immer noch dort war, war in den vergangenen Wochen nicht mehr zu sehen und samstags gibt es immer mehr Lücken – ein Phänomen, das auch die Stadtverwaltung mit Bedauern registriert. Der Grund liegt auf der Hand: Lebensmittel gibt es nahezu rund um die Uhr im gesamten Stadtgebiet zu kaufen. Ein Markt zeichnet sich aber nicht nur durch Frische, sondern ein vielfältiges, anderswo nicht immer erhältliches Angebot und eine besondere Atmosphäre aus.

Das bestätigt auch der Mann mit dem Süßwarenstand: „Ein Markt ist gut, wenn man dort Dinge bekommt, die es anderswo nicht gibt. Ich muss hier gar nicht mehr stehen und ich komme nicht, wenn ich vorher weiß, dass die Leute wegen des Wetters zuhause bleiben. Wir haben hier überwiegend Stammkunden, und die sterben mit uns aus. Viele Marktbeschicker sind über 70 Jahre alt, wir kennen uns hier seit Generationen und ich kann gut verstehen, dass jüngere Leute sich überlegen um 4 Uhr aufzustehen und hier erst mal zwei Stunden lang ihren Gemüsestand aufzubauen. Das wird hier immer weniger werden.“ Früher gab es an der Hagschen Straße auch noch die Marktschänke, eine deftige Kneipe, in der die Beschicker ihren Feierabend schon mittags begossen. Auch das Lokal, es ist nach jahrelangem Leerstand längst verschwunden.

Eine Stadt ohne Markt? Undenkbar!

Doch die Bedeutung des Marktes hat sich grundlegend geändert. Im Mittelalter war der Markt der Kristallisationspunkt einer Stadt, in manchen Gegenden hat das Vorhandensein eines Marktes erst dazu geführt, Stadtrechte zu erteilen. Auf Jahrmärkten wurden Waren angeboten, die nur dort zu bekommen waren, so wie heute vielleicht noch auf dem Gocher Flachsmarkt.

In Kleve befand sich der erste Marktplatz vor der heutigen Stiftskirche, auf dem Kleinen Markt, doch mit der Stadtgründung entstand auf dem Heideberg der Große Markt. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die Wochenmärkte abwechselnd auf dem Großen und dem Kleinen Markt abgehalten. Dazu gab es spezielle Plätze für den Fischverkauf. In Pieter Langendijks Stadtbeschreibung aus der Mitte des 18. Jahrhunderts heißt es vom Großen Markt, er sei „met schoone linde boomen beplant, daar men op zaturdag allerhande verversing en noodruft verkoopt, en driemaal in`t jaar volle markt heeft. `t is ook de Paerden en vetten Ossenmarkt.“

Es war der zentrale Platz für Handel und Amüsement. Auf dem Wochenmarkt die Dinge des täglichen Gebrauchs, später feierten die Klever dort Kirmes („Jahrmarkt“). Viele erinnern sich an diesen heute so abgelegenen Platz auch als den Ort, wo die große Fronleichnamsprozession endete und wo zu St. Martin das große Martinsfeuer angezündet würde. Heute hat der letzte Händler am Platz seine Türen für immer geschlossen, geblieben ist ein Parkplatz, der wohl nur von Ortskundigen gefunden wird. Dabei hatte man nach dem Krieg versucht, den Platz als Markt wieder zu beleben. Der Markt sollte hier nun im Wechsel mit dem Markt an der Linde stattfinden, man hoffte, dass mit dem fortschreitenden Wiederaufbau der Große Markt an Bedeutung zunehmen werde. Die Hoffnung trog, wie so oft.

Der benachbarte Schweinemarkt in Kleve war übrigens bis Mitte des 19. Jahrhunderts bebaut, er erhielt seinen Namen vom mittelalterlichen Schlachthaus, das dort früher einmal stand. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die später frei gewordene Fläche als Markt genutzt wurde. Es hat allerdings irgendwo in Kleve einen Ferkelmarkt gegeben, sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Der damalige Stadtdirektor Bernhard Baak schrieb 1960, dass der wöchentliche Ferkelmarkt so bedeutungslos geworden sei, dass es zweifelhaft sei, ob er noch lange durchgehalten werden könne.

Der heutige Marktplatz an der Linde war vor dem Zweiten Weltkrieg teilweise bebaut. Direkt an der Kreuzung Lindenallee/Hagsche Straße, dort, wo heute die Uhr steht, war die Landwirtschaftsschule. Nach dem Neubau 1904 an Stelle der heutigen Realschule wurde das Gebäude an der Linde zum Heimatmuseum. Der Name „an der Linde“ stammt übrigens von der kunstvoll geschnittenen Linde, die im Mittelalter im Wegekreuz von Hagscher Straße und Lindenallee stand. Vor einigen Jahren wurde zwischen Markt und Borselstege eine neue Linde gepflanzt, die wie früher so geschnitten wird, dass Etagen entstehen.

Doch eine pittoreske Linde allein kann den Markt nicht retten, wir müssen uns überlegen, wie es mit dem Markt an der Linde weitergehen soll. Soll er belebter werden? Dann muss auch das Angebot vielfältiger werden. Soll man eine Markthalle bauen? Die Idee hatten schon die Brüder Thelosen, als sie im Oktober 1988 Pläne zur Umgestaltung des Marktplatzes vorstellten. Geplant war eine halbrunde Gewerbe- und Wohnbebauung mit der Öffnung zur Borselstege, in der Mitte durchbrochen durch eine Passage, darunter eine Tiefgarage und auf dem verbleibenden Areal eine Art Markthalle. Nach Ansicht des Rates verblieb jedoch nicht mehr genügend Platz für den Markt, auch waren die von Thelosen angedachten sieben Geschosse dem Rat entschieden zu hoch.

Vielleicht sollte ein neuer Anlauf geplant werden, eine maßvolle Bebauung ist durchaus vorstellbar. Einen Markt wie am Berliner Winterfeldtplatz wird Kleve wohl nicht bekommen, jedenfalls nicht als Wochenmarkt. Das Einkaufserlebnis muss intensiviert werden, eine überdachte Fläche würde nicht nur Marktbeschicker und Marktbesucher unabhängiger vom Wetter machen, sondern auch weitere Nutzungsmöglichkeiten bieten. Aber traut Kleve sich das?

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Ein Kommentar

  1. 1

    Die beiden ein Klever Unikat, kenne die beiden über zwei Jahrzehnte von den Einkäüfen aus der Kavariner Straße und dem Markt an der Linde.
    Immer gut drauf, ein freundliches Wort, egal wie viel Stress auch am Stand war.
    Die beiden waren immer bei Wind und Wetter, Eis und Schnee draußen, selbst mit Vernupfung standen die beiden hinter ihrem Stand.

    Alles Gute, Euch beiden im wohlverdienten Ruhestand, Kleve fehlt nun zwei bekannte Gesichter.