XOX – 50.000 Quadratmeter Zukunft

Ein echter Knupp (mit Rampenbrücke)
Ein echter Knupp (mit Rampenbrücke)

(Kleines Werk von mir über die Zukunft des XOX-Geländes aus der RP von heute, hier wieder zu einem Stück zusammengesetzt für alle anderen Leser:) Wenn Udo Tjaden in seiner Dienstwohnung auf dem XOX-Gelände auf seinem beigefarbenen Gelsenkirchener-Barock-Sofa sitzt, wirkt er trotz des dunklen Anzugs und seiner 42 Jahre so, als komme er gerade von der Uni. Man könnte auf die Idee kommen, ihn zu unterschätzen. Das ändert sich schnell, wenn er beginnt, über seine Pläne und seine Ideen zu sprechen. „Immobilien haben mit Geduld zu tun”, sagt er. Von seinem Vater habe er das gelernt.

Sein Vater, ein Kaufmann aus Bremen, erwarb 1978 das Gelände der Keksfabrik XOX. Zu deren Glanzzeiten in den 60-er Jahren standen 2500 Menschen in dem weitläufigen Industriekomplex an der Stadtgrenze zwischen Kellen und Kleve in Lohn und Brot. Weil Kleve nicht genug Arbeiterinnen hergab, wurden diese mit Werksbussen aus Duisburg und Oberhausen herangekarrt.

1977 jedoch wurde das Werk nach einem jahrelangen Niedergang geschlossen. Alles an Inventar, was nicht niet- und nagelfest war, wurde verhökert, und zuguterletzt ging 1978 das entkernte Gebäude an Tjadens Vater.

Kleve war für den Mann aus Norddeutschland nur zweite Wahl, eigentlich hatte er eine Fabrik in Celle kaufen wollen. Die schnappte sich Bahlsen, und so sicherte sich Tjaden senior mit den Ersparnissen der Familie das im gleichen Verkaufsprospekt angebotene Gelände am Niederrhein mit seinen mehr als 50.000 Quadratmetern Nutzfläche.

„Wie eine ausgeweidete Leiche” kam es seiner Frau Marie-Elisabeth beim ersten Anblick vor. Was an der Briener Straße noch stand, war allerdings für die Ewigkeit gebaut: Die Wände sind bis zu 64 Zentimeter dick, die Decken können Lasten von 1,5 Tonnen je Quadratmeter tragen.

Gerade richtig für Menschen mit Geduld. In den folgenden Jahren sorgten die Tjadens mit sicherer Hand dafür, dass aus der Industriebrache ein florierender „Industriepark Kleve” wurde. Eine Entwicklung, die sich nahtlos fortsetzte, als Udo Tjaden 1991 das Geschäft übernahm, nachdem sein Vater im Jahr zuvor Vater verstorben war. Heute gibt es auf dem Gelände rund 30 Gewerbebetriebe – von der bundesweit bei Porschefahrern bekannten und geschätzten Turm-Garage bis hin zu Fachhändlern wie Büro Menges.

Darüber hinaus gelang es Tjaden, auf dem Gelände auch mehr als 80 Künstler (u.a. Manfred Knupp, XOX-Theater) anzusiedeln und gemeinnützigen Organisationen wie der Klever Tafel eine Unterkunft zu bieten. Ganz ohne Zutun der öffentlichen Hand hat sich auf dem XOX-Geläde eine solide Mischung aus Kommerz und Kultur etablieren können. „Wir legen Wert auf Mischkukltur”, sagt Tjaden. „Die Mieter müssen sich ergänzen.”

Interessanterweise spielte die Entwicklung des Geländes in der öffentlichen Diskussion 32 Jahre lang keine große Rolle – bis zu einem Paukenschlag vor wenigen Wochen. Damals lud Tjaden seine Mieter, ehemalige XOX-Mitarbeiter sowie einige Ehrengäste der Stadt, unter ihnen auch Bürgermeister Theo Brauer, ein, mit ihm „100 Jahre XOX” zu feiern.

300 Gäste kamen in den Genuss eines sorgfältig inszenierten und aufwändig gestalteten Fests, das für die Pensionäre zu seiner sentimentalen Reise wurde (sie hatten nicht mehr damit gerechnet, sich noch einmal zu sehen). Für den Bürgermeister hielt die Feier zudem eine deutliche Botschaft parat.

Seit nämlich feststeht, dass in unmittelbarer Nachbarschaft die Hochschule Rhein-Waal hochgezogen wird, ist auch die Verwaltung vom Strahl der Erkenntnis getroffen worden, dass dort nur fünf Fußminuten vom Rathaus entfernt ein städtebauliches Juwel liegt. Das weckt Begehrlichkeiten. In einer Vorlage der Verwaltung wurde das Gelände kürzlich noch als „Industriebrache” bezeichnet – gerade so, als sei die letzten 32 Jahre dort nichts passiert.

Tjadens Mieter reagierten verunsichert. Auf der Feier wandte er sich deshalb ausdrücklich an sie: „Ich versichere Ihnen, es wird sich nichts ändern.” Und als Botschaft Richtung Rathaus war der Hinweis zu verstehen: „Bevor Sie über uns reden, reden Sie doch lieber mit uns.”

Nun ist es nicht so, dass es keine Gespräche gibt. Allerdings hat sich dabei in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt, dass die niederrheinische Hinterzimmerdiplomatie mit hanseatischem Kaufmannsgeist nur schwer vereinbar ist. Tjaden wollte einen Verbrauchermarkt im ehemaligen Zentrallager ansiedeln – abgelehnt, in Kleve gebe es bereits genug. Tjaden präsentierte einen Investor, der auf der Wiese vor der Turmgarage einen Lebensmittelmarkt eröffnen wollte – in der dritten (!) Gesprächsrunde abgelehnt, weil der Flächennutzungsplan dies nicht zulasse. „Konstruktive Vorschläge hat es in 30 Jahren nicht gegeben”, so Tjaden.

Immerhin wird jetzt das Projekt „Flächenpool NRW” gemeinsam mit dem Bremer Kaufmann angegangen. „Für den Bereich der Stadt Kleve bieten die in der Nähe der Hochschule gelegenen Gelände der ehemaligen Firma XOX und der ehemaligen Firma Bensdorp hervorragende Perspektiven zur weiteren Entwicklung. Aus diesem Grunde sind diese Flächen besonders geeignet, im Rahmen dieser Pilotphase berücksichtigt zu werden”, heißt es in der Verwaltungsvorlage. Tjaden dazu: „Die Entwicklungsgesellschaft ist seit etwa drei Monaten mit uns im Gespräch. Endlich einmal ein Punkt, bei dem wir von Anfang an mit am Tisch saßen!”

Auch die Hochschule hat natürlich schon angeklopft. Zuletzt im April, ob er im Industriepark bis Ende September 200 Studentenwohnungen bereitstellen könne. „Das war natürlich viel zu kurzfristig”, so Tjaden. Jetzt werden die Studenten statt dessen in die Kaserne nach Emmerich geschickt.

Tjaden ist allerdings sicher, dass die Hochschule auf die Flächen, die er bereithält früher oder später nochzurückkommen wird. „Die Hochschule kann nur noch in die Breite wachsen”, erklärt er. Die Breite, das ist das Gebiet östlich des Spoykanals. Das ist der Industriepark Kleve.

„Wir sind sicher einer der drei Grundstückseigentümer, die in Kleve am meisten vom Bau der Hochschule profitieren”, sagt Tjaden. Die 100-Jahr-Feier Ende August in den leeren Industriehallen des Hauptgebäudes zeigte auch, dass Tjaden noch reichlich freie Flächen hat. Und Geduld hat er sowieso.

Deine Meinung zählt:

20 Kommentare

  1. 20

    Na, dann wird ja jetzt einiges verständlicher, oder warum muß am alten Straßenbahn Depot ein Stahlträger einer ehemaligen Aussenkrananlage auf der Hoffläche aus Denkmalschutz Gründen erhalten bleiben, wenn parallel dazu, zwischen den Gebäuden z.Zt. ein verglaster Stahlskelettbau errichtet wird.
    Nur böse Zungen behaupten, das ist die Kompensation zwischen Bauherr und Stadt,für den Gundstücksverkauf der ehemals von der RWE als Aussenlager genutzten Fläche, an die Stadt, zur Errichtung eines Teils der Hochschule.

    Geltende Bebauungs- und Nutzungspläne sind in Kleve halt sehr dehnbare Begriffe, wobei natürlich die zukünftigen fehlenden Gewerbessteuereinnahmen spielend durch die neue Kur- bzw. Bettenbelegungstaxe ersetzt werden kann.

     
  2. 18

    Das Einzige was passieren wird ist, daß Kleve sein ästhetisches Gesicht für immer verlieren wird; ansonsten wird vermutlich, wie gewohnt, ein kläglicher Fehlversuch nach dem Anderen für Aufsehen sorgen.

     
  3. 17

    Wer einmal die Gelegenheit hat, Kleve zu verlassen, der sollte sie schnell nutzen?

    Oh je! Das war zu befürchten. Schon vor Monaten wurde genau dieses Vorgehen in den Zigarettenpausen voraus gesagt. Nun ist es also so weit?

    Platt machen, was nicht ins Wunschkonzert passt… sollte da was dran sein? Ich verstehe es auch irgendwie als Drohung. Es ist jedenfalls ein deprimierendes Signal.

    Wenn das so weiter geht, dann ziehen wir mit unserem Betrieb um, aber nicht innerhalb der Stadtgrenzen, dass steht fest. Hauptsache raus aus dem Tohuwabohu!

     
  4. 16

    Der Röhrl kann gleich ganz seine Arbeit einstellen, wenn Potemkin die Betriebe so mal eben nebenbei die Grundlage entzieht.

     
  5. 14

    Heute hat auch die NRZ nachgezogen.
    Hier:http://www.derwesten.de/staedte/kreis-kleve/Nichts-wird-so-sein-wie-es-war-id3844608.html

    Interresant ist die Aussage von Herrn Rauer bezgl. eines ansässigen Betriebes „Wir hoffen, dass diese Nutzung kurzfristig entfällt“. Dazu müsse eine erteilte Genehmigung für die Produktion zurückgenommen werden.

    Ähnlich also wie bei Rübo, alles plattmachen was nicht mehr ins neu erdachte schöne Wunschkonzept passt.

     
  6. 13

    Verehrter Herr Daute,

    fragen Sie doch mal bei der Hundeschule an der Briener Straße nach. Oder der Firma Klecamp…

     
  7. 12

    Manni Knupp also der Maler hat nur ÖL – denn Öl ist sein Kies
    Udo Tjaden hat das Bild gekauft

     
  8. 10

    Hallo, das Bild ist doch nicht echt? Das ist doch irgendein digicamdingens, was durch irgendeine freie Simpsonizer- oder Manganizermaschine im Internet durchgewurstet wurde?

     
  9. 8

    Es stellt sich die Frage, wer „anonym“ eigentlich sein könnte. Ich kann das nur bestätigen, was Dickschaedel schreibt. Unfaire Handlungen gegenüber den Mietern hat es m.w. noch nie gegeben.

    Da hat doch nicht etwa jemand aus der Rathausruine anonym … ?

    @Dickschaedel: Jeder ist ein Künstler. Dies gilt vor allem für die Mieter hier…

     
  10. 7

    kenne keinen der bisher mündlich gekündigt wurde, vielleicht hat er die Miete auch mündlich überwiesen. 80 Künstler? also ich würd die mal auf 8-10 reduzieren – 5 im XOX und 5 in der Bensdorp –
    aber über Kunst lässt sich streiten. Es gibt auch Künstler die ein Atelier haben und na ja man hat ein Atelier – also ist man Künstler.
    Bei einem Atelier eines Künstlers der bildenden Kunst (Maler, Bildhauer, etc.) ist eine gute Beleuchtung mit Tageslicht von ausschlaggebender Bedeutung; daher sind hier Dachateliers häufig, die nach Norden ausgerichtet sind (gleichmäßiger Lichteinfall).
    Stimmt – die Fenster sind gross – der Vermieter ist auch gut – die Hausmeister auch. Leider werden Räume auch an absolute Vollidioten mit Tekno und Hardcoremusik vermietet – also Lebenskünstler die mir mit Lautstärke auf den Sack gehen.
    @anonym – wer ist denn gekündigt? mündlich? meines Wissens wird das schriftlich gemacht und das bisher sehr fair.

     
  11. 6

    @anonym Da habe ich Udo Tjaden doch gleich mal gefragt. Seine Antwort: „Ich versichere Ihnen, ich habe keinem Mieter von uns eine Kündigung angekündigt, ausgesprochen oder in sonst irgend einer Form mitgeteilt. Da wir sämtliche Mietverträge schriftlich abschließen, wäre selbstverständlich auch eine Kündigung nur schriftlich wirksam. Da wir aber mit der BEG und einem Architekten selber Maße, Größen und Kosten ermitteln, wird es vermutlich jemanden geben, der sich denkt: ‚Jetzt werden meine Räume vermessen, also muss ich raus.‘ Aber bei dem Schritt, wer eventuell umziehen müsste oder was baulich verändert werden soll, sind wir überhaupt noch nicht. Wer das verbreitet, kann sich gerne persönlich an mich wenden.“

     
  12. 5

    Beim Lesen ist mir der Gedanke gekommen, wie wohl das ignorante und völlig inkompetente ZK in der Rathausruine mit anderen Interessenten umgesprungen ist.
    Der Flächennutzungsplan kann nicht geändert werden. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man drüber lachen. Schämt Euch!
    Das besagte Grundstück steht immer noch zum Verkauf. Schenkt das doch eurem Lieblingsinvrstor., der euch nach Strich und Faden
    Kujoniert und euch hinten herum auslacht.

     
  13. 4

    Herzlichen Glückwunsch.
    Ein sehr gediegener Artikel. mit Charme formuliert und ausgewogen berichtet.
    Danke.

     
  14. 3

    Tja – „Begehrlichkeiten…“ steht da im Artikel geschrieben. Wenn man da nicht plötzlich Zäune gezogen werden Richtung Ex-XOX und die FHRW sagt: „Meins…“
    Soll ja nicht so ungewöhnlich sein in der „Hochschulstadt“ Kleve (lt. Briefpapier)…

     
  15. 2

    „Ich versichere Ihnen, es wird sich nichts ändern.”

    Tja, den ersten Mietern wurde bereits mündlich gekündigt…

     
  16. 1

    Ende der 1970er Jahre hat die Stadt Kleve die Möglichkeit gehabt, die Industriebrache XOX für ca. 10 Mio. DM zu erwerben (lt. Ex-Bürgermeister Joeken). Man hat verzichtet … .
    Da hat Herr Tjaden sehr Recht: Immobilien haben mit Geduld zu tun! 🙂